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(Auszug aus einem Vortrag von alt Botschafter Dr. iur. Carlo S. F. Jagmetti, anlässlich der GV der "Aktion Aktivdienst" unter Leitung des Präsidenten Divisionär Hans Wächter, vom 15. März 2003)
... Bei der Betrachtung der Ausgangslage müssen wir uns die massgebenden Entwicklungen der letzten Jahre hinsichtlich unserer internationalen Stellung vergegenwärtigen. Unser Land ist jetzt Mitglied der UNO. Die Schweiz ist Unterzeichnerin des Systems von "Partnership for Peace" mit den dazugehörigen Engagements einschliesslich der vollberechtigten Teilnahme am European Atlantic Partnership Council. Unser Militärgesetz gestattet heute Auslandeinsätze mit Waffen.
Hinsichtlich der NATO wird beteuert, dass keine Mitgliedschaft angestrebt werde. In Bezug auf die EU besteht bekanntlich das sogenannte strategische Ziel des Bundesrates darin, die Schweiz zum Mitglied der Union zu machen. Wenn Sie diese Situation vergleichen mit derjenigen vor 1989, müssen Sie einsehen, dass unsere internen Konzepte und damit auch die Aussenbeziehungen unseres Landes sich nicht einfach weiterentwickelt, sondern fundamental gewandelt haben.
Schon heute liegen Tatsachen vor, die eben Voraussetzungen dafür schaffen, in weiteren kleinen Schritten eine epochale und folgenschwere Kursänderung zu vollziehen. Was mich als Bürger an dieser Evolution bzw. Revolution zutiefst beunruhigt, ist der Umstand, dass die Bedeutung des Wandels heruntergespielt und eine tiefgehende Grundsatzdiskussion innerhalb des Souveräns einerseits und zwischen dem Souverän und den Gewählten anderseits vermieden wird. Für die nutzbringende Durchführung einer derartigen Debatte muss man weder über die den Politikern vorbehaltenen Informationen verfügen, noch politischer Experte, Akademiker oder sonstwie Spezialist sein. Denn die grundsätzlichen Fragen sind im Grunde genommen einfach, wie zum Beispiel die folgenden:
Auf die Gefahr hin, als hoffnungsloser Nostalgiker zu erscheinen, möchte ich erstens festhalten, dass die Schweiz in den über 150 Jahren ihrer Existenz als Bundesstaat gewaltige Umfeldveränderungen erlebt und trotzdem an ihren Grundprinzipien festgehalten und überlebt hat. Die Rückschau zeigt deutlich, dass Konstanz und Prinzipientreue durchaus erfolgreich mit lebensnotwendiger Innovation verbunden werden können. Die Betrachtung der Gegenwart und die Vorschau zeigen in erschreckender Weise, dass nicht nur die Börse, sondern die Weltlage so volatil ist, wie seit Jahrzehnten nicht mehr. Angesichts der im Gang befindlichen und möglichen Entwicklungen wird man gut beraten sein, Bewährtes nicht unbedacht über Bord zu werfen und Neuerungen so zu gestalten, dass sie auf möglichst lange Sicht die besten Chancen für das Überleben und das Wohlergehen unseres Landes geben. Wenn die eintretenden Szenarien dann positiver als erwartet sind, tut das einer realistischen Vorbereitung keinen Abbruch, sondern wird einfach günstigere Voraussetzungen für unsere Entwicklung schaffen. Auch dürfen wir uns nicht der Illusion hingeben, dass wir zur Wahrung unserer Sicherheit auf andere abstellen können. Ist es nicht Wunschdenken zu glauben, dass die PfP-Partner (PfP = Partnership for peace) in einer Krise, in der auch sie bedroht und bedrängt werden, der in einer Notlage befindlichen Schweiz gleich zu Hilfe eilen werden? Werden die für die eigenen Sicherheitsbedürfnisse mobilisierten Partner überhaupt über die Mittel verfügen zu helfen, sogar wenn der Wille vorhanden ist? Bleiben wir doch in unserem eigenen Interesse realistisch!
Damit sind wir am Kernpunkt angelangt und müssen uns einen Moment mit der Unabhängigkeit und der Neutralität befassen. Die offizielle These ist kurz gesagt ja folgende: Die ursprünglichen Bedrohungen existieren nicht mehr, den neuen Bedrohungen ist die Schweiz allein nicht mehr gewachsen, sie muss ihre Sicherheit in internationaler Zusammenarbeit suchen, sich der NATO innerhalb von Partnership for Peace annähern, eine möglichst weitgehende Interoperabilität mit der NATO verwirklichen und der Völkergemeinschaft mit Truppeneinsätzen zur Verfügung stehen. Immer noch gemäss der offiziellen These bleibt dies alles mit unserer Unabhängigkeit und unserer Neutralität vereinbar. Zur Untermauerung werden Gutachten angeführt, wobei man die verwaltungsinternen Gutachten wegen ihrer Finalität gleich ausschliessen muss. An unabhängigen Gutachten soll nicht unnötig gerüttelt werden, doch kann man bekanntlich auch solche Gutachten interpretieren oder ihnen nur das entnehmen, was den eigenen Zwecken dient. Mit Respekt für unsern Bundesrat wollen wir nicht bezweifeln, dass er es mit der Neutralität ernst meint. Dies obwohl bereits die Änderung des Militärgesetztes betreffend bewaffnete Auslandeinsätze nach durchaus begründeter Auffassung als mit der Neutralität unvereinbar bezeichnet werden kann. Der Souverän hat sich aber dazu geäussert, und damit müssen wir leben. Er sollte indessen über die Armee XXI abstimmen, nachdem er die Neutralitätsfrage genau geprüft hat.
Je näher sich die Schweiz zur NATO bewegt, desto abhängiger wird sie von der Paktorganisation. Auch wenn man vehement behauptet, nicht beitreten zu wollen, was mit der Neutralität sicher nicht vereinbar wäre, so betreibt man die Annäherung in einer Weise, die ganz sicher nicht im Sinne unserer traditionellen Neutralitätspolitik liegt. Je enger die Verbindung zur NATO sich gestaltet, desto weniger stimmt sie aber mit dem Neutralitätsrecht überein. Meines Erachtens haben wir bereits durch das Mitmachen bei Partnership for Peace die Grenze überschritten. Dass der Souverän dazu nicht befragt und sogar das Parlament praktisch mit vollendeten Tatsachen konfrontiert wurde, schien bis jetzt nur wenige Leute zu stören. Es sollte auch aufhorchen lassen, dass die NATO sich durch einen Doktrinwechsel vom Verteidigungsbündnis zu einer Paktorganisation gewandelt hat, die aggressive Interventionen ausserhalb ihres ursprünglichen Einsatzgebietes vorsieht. Vielleicht wird die Tragweite manchem bewusster werden, wenn die Supermacht, der Welthegemon, die einzige wirklich schlagkräftige NATO-Macht wieder einmal Krieg führt, und zwar einen Krieg, der von der öffentlichen Meinung weltweit und auch in hohem Masse in Amerika abgelehnt wird. Auch ohne Mitgliedschaft in der NATO werden wir dann durch die Partnerschaft für den Frieden mit der angreifenden Supermacht militärisch verbunden sein. Wollen wir eine Partnerschaft für den Krieg? Braucht es wirklich einen Krieg mit all dem damit verbundenen Grauen, um zu erkennen, dass solches mit unserer Neutralität nicht vereinbar ist?
Noch immer davon ausgehend, dass unsere politische Führung es mit der glaubwürdigen Wahrung unserer Neutralität im Falle der Einführung der Armee XXI ernst meint, wollen wir uns noch kurz anschauen, was vom Bundesrat ernannte Beauftragte sagen und was in Prospektivstudien zu lesen steht, die dem Bundesrat als Entscheidungsgrundlagen für die zukünftige Gestaltung unserer Sicherheit zur Verfügung stehen. Aus dem kürzlich unter dem Titel "Herausforderungen 2003-2007" erschienen Bericht des Perspektivstabs der Bundesverwaltung zitiere ich Ihnen folgende Sätze, die sich unter dem Punkt Sicherheitspolitik auf Seite 22 finden:
"Allerdings stellen sich verstärkt sicherheitspolitische Herausforderungen, die von nichtstaatlichen Akteuren ausgehen und grenzüberschreitend bekämpft werden müssen wie beispielsweise Terrorismus und organisierte Kriminalität. Dies und die wachsende Bedeutung der Europäischen Union auch auf sicherheits- und verteidigungspolitischem Gebiet stellen die traditionelle Sicherheitskonzeption der Schweiz, die auf autonomer Verteidigung und der Neutralität basierte, immer mehr in Frage. Die Umorientierung der schweizerischen Sicherheitspolitik von der autonomen Verteidigung hin zur kooperativen Sicherheit gewinnt deshalb an Bedeutung."
Sie sehen, wie die Neutralität in einem Nebensatz behandelt wird.
In einem Papier, das den Titel "Grundlagen der militärischen Doktrin, Stand Februar 2000" und auf jeder Seite in den vier Landessprachen die Aufschrift "Schweizerische Armee" trägt, ist auch allerhand zu lesen. Es würde zu weit führen, wenn ich Ihnen all die Stellen im Text vorlesen wollte, die zu höchster Beunruhigung Anlass geben.
Ich beschränke mich auf folgende Zitate:
Seite 5/1 zu den Zielen: "- im Falle einer schwerwiegenden Destabilisierung unseres strategischen Umfeldes - die wir trotz fehlender Indizien nicht ganz ausschliessen können - anzustreben, der drohenden militärischen Gewalteinwirkung in Koalition mit bereits bekannten und vertrauenswürdigen Partnern, möglichst früh und möglichst bereits im operativen Vorfeld entgegenzutreten, um die Schweiz gar nicht erst zum Kriegsschauplatz werden zu lassen; ...
Seite 25/1 unter dem Titel "Kooperation mit dem Ausland": "Dabei ist festzuhalten, dass: .... - autonomes militärisches Handeln höchstens in Randbereichen (z. B. Teilprojekte) zum Tragen kommen wird."
Seite 27/1 zur Interoperabilität: "Erste Schritte der Umsetzung sind gemacht. Die Schweiz nimmt im Rahmen der Partnerschaft für den Frieden am PfP Planning and Review Process (PARP) teil.Die ersten spezifischen Interoperabilitätsziele für die Schweiz sind im Frühjahr 1999 in bilateralen Gesprächen mit der NATO festgelegt worden."
Können wir nach all dem unserem Bundesrat noch folgen, wenn er erklärt, die Einführung der Armee XXI und die damit verbundene Politik sei mit der Neutralität vereinbar? Können wir tatsächlich noch an unsere Unabhängigkeit glauben, wenn wir uns einer militärische Paktorganisation derart annähern? Die EU steht heute nicht zur Diskussion. Aber vergessen wir nicht, dass in den erwähnten Unterlagen - übrigens sehr zu Recht - auf die sicherheitspolitische Dimension der Union hingewiesen wird und dass der Bundesrat weiterhin das strategische Ziel des Beitritts verfolgt. Auch in diesem Zusammenhang wird behauptet, dies sei durchaus mit der Neutralität vereinbar. Dies nur pro memoria. ...
Zu Recht pochen wir auf unsere Unabhängigkeit und Souveränität und sollten auch alles tun, um diese in einer heute veränderten und sich ständig weiter verändernden Welt zu bewahren. Wir müssen dies aber mit Realismus tun und einsehen, dass de facto in der Schweiz eben vieles fremdbestimmt wird. Daraus den Schluss zu ziehen, man müsse sich voll und ganz anpassen und ausserhalb der Schweiz liegenden Strukturen unterstellen, wäre wohl ebenso falsch wie eine an den Realitäten stur vorbeisehende Haltung einzunehmen und damit den "Sonderfall" unvernünftig zelebrieren zu wollen.
Was die Verfassungsmässigkeit der Armee XXI betrifft, beruft man sich auch auf Gutachten. Es bestehen Gegengutachten, und die Meinungen gehen auseinander. Ich masse mir auch auf diesem Gebiet nicht an, den richtigen Weg weisen zu wollen. Ich möchte einfach die einschlägigen Artikel der Bundesverfassung erwähnen und in diesem Zusammenhang einige Fragen aufwerfen, die es verdienen würden, vom Souverän ernsthaft geprüft zu werden.
Art. 54, Abs. 2: Der Bund setzt sich ein für die Wahrung der Unabhängigkeit der Schweiz ....
Nach dem vorher Gesagten muss man sich schon fragen, was mit "Unabhängigkeit" gemeint ist und wie weit der Bund sich mit den neuen Tendenzen für deren Wahrung einsetzt.
Art. 57, Abs. 1: Bund und Kantone sorgen im Rahmen ihrer Zuständigkeiten für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung.
Frage: Wie können der Bund und die Kantone mit einer derart umgestalteten, reduzierten und auf Auslandeinsätze vorbereiteten Armee, ohne Bundespolizei und mit bescheidenen und zudem hin und wieder zerstrittenen kantonalen und kommunalen Polizeikorps für die Sicherheit des Landes und den Schutz der Bevölkerung sorgen?
Art. 58, Abs. 2: Die Armee dient der Kriegsverhinderung und trägt bei zur Erhaltung des Friedens; sie verteidigt das Land und seine Bevölkerung. Sie unterstützt die zivilen Behörden bei der Abwehr schwerwiegender Bedrohungen der inneren Sicherheit und bei der Bewältigung anderer ausserordentlicher Lagen. Das Gesetz kann weitere Aufgaben vorsehen.
Obwohl es eine mehr militärisch-technische Frage ist zu beurteilen, ob die Armee XXI diesen Auftrag tatsächlich erfüllen kann, so doch folgende Frage: Wie soll die Armee wirksam zur Erhaltung des Friedens und zur Verteidigung von Land und Bevölkerung fähig sein, wenn sie nur im Rahmen internationaler Zusammenarbeit funktioniert? ...
Art 185, Abs. 1: Der Bundesrat trifft Massnahmen zur Wahrung der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz.
Abs. 2: Er trifft Massnahmen zur Wahrung der inneren Sicherheit.
Frage: Wie trifft der Bundesrat Massnahmen zur Wahrung der inneren und der äusseren Sicherheit, der Unabhängigkeit und der Neutralität der Schweiz, wenn davon ausgegangen wird, dass die fundamental veränderte Sicherheitspolitik wie übrigens auch das strategische Ziel des EU-Beitritts mit der Neutralität vereinbar sind und die Unabhängigkeit nicht antasten?
Wäre es nicht ehrlicher, von einer Wende und von einer Abkehr von der Neutralität und einer Relativierung der Unabhängigkeit zu sprechen? Wie wird der Bundesrat vorgehen, wenn ihm die Bundesversammlung gemäss Art. 93, Abs. 2 des Militärgesetzes ihre Befugnisse überträgt? ...
Lassen Sie mich folgendermassen zusammenfassen: Es geht darum, der Schweiz eine starke, im Wesentlichen auf dem Milizsystem basierende und den modernen Bedrohungen und Erfordernissen gegenüber langfristig glaubwürdige Armee zu sichern. Dabei ist den Vorschriften der Bundesverfassung ehrlich und eindeutig nachzuleben, das Neutralitätsrecht in restriktiver Auslegung streng zu beachten und eine langfristig überzeugende Neutralitätspolitik zu betreiben.
Wenn man von dieser traditionellen, aber in unserer Geschichte bewährten und - bis zum Beweis des Gegenteils - keineswegs überholten Betrachtungsweise abweichen will, muss darüber mit dem Souverän eine umfassende und ernsthafte Grundsatzdiskussion geführt werden, bevor durch den weiteren Schritt der Einführung der Armee XXI ein fait accompli geschaffen wird, das nach Ansicht der Bürgerinnen und Bürger, die bei der Abstimmung vom 18. Mai 2003 die Vorlage Armee XXI ablehnen werden, im Widerspruch steht zu unseren heute noch gültigen Grundsätzen. Sollten Volk und Stände nach gewalteter gründlicher und ehrlicher Debatte und im Bewusstsein um alle möglichen Folgen eines Tages eine fundamentale Kursänderung beschliessen, wird dies nach richtigem Demokratieverständnis zu respektieren und gültig sein. Es wäre aber schade um die Schweiz, wenn sie sich fundamental neu ausrichten würde, ohne sich vorgängig mit der Bedeutung und den Folgen einer solchen Neuorientierung seriös zu befassen. ...