Prüfen + Handeln – früher Memopress ,
Sprachrohr der Aktion Volk + Parlament -
übernimmt periodisch die Texte der zwei
bis drei wöchentlichen Newsletters.
Kernsätze aus dem im Novalisverlag Schaffhausen erschienenen Buch „Wagnis Schweiz“ von Prof. Dr. Wolfgang von Wartburg
Wohl selten hat sich die Geistesverfassung des Schweizer Volkes so rasch gewandelt wie im vergangenen halben Jahrhundert. Vor fünfzig Jahren waren Begriffe wie Vaterland, Demokratie, Freiheit, nationale Unabhängigkeit trotz der selbstverständlichen Kritik an den Mängeln des politischen Alltags lebendig und allgemeingültig. Seit den sechziger Jahren begann eine Kritik, die ans Mark der Eidgenossenschaft greift und deren Wesen und Daseinsberechtigung selbst in Frage stellt.
Die Eidgenossenschaft ist ihrer Idee nach eine zutiefst christliche Form der Gemeinschaft, denn das Christentum wendet sich seinem eigentlichen Wesen nach an den geistigen Kern der menschlichen Persönlichkeit.
Der Eid, den die Behörden der Gemeinde Avers nach dem Landbuch von 1622 jedes Jahr vor der Gemeinde zu schwören hatten, enthielt die Worte: „Wir haben von Gottes Gnaden eine schöne Freiheit... wir sind gottlob keinem fremden Fürsten und Herrn nichts schuldig noch unterworfen denn allein dem allmächtigen Gott.“
Dass diese Haltung in der Umwelt nicht nur Freundschaft weckte, ist begreiflich. Man hatte wenig Verständnis dafür, dass die Eidgenossen sich von den übrigen Völkern absonderten und ohne adlige Herrschaft, ja ohne Kaiser leben wollten.
So stand die Eidgenossenschaft von ihrer Geburt an in einem Doppelverhältnis zu Europa. Einerseits lebte in ihr die älteste Tradition, die radition der urgermanischen Gemeindefreiheit, weiter. Anderseits machte sie alle Entwicklung der Nachbarvölker mit, aber immer in einer ihr selbst angemessenen Form.
Das Grundmotiv allen „Schweizer Geistes“ ist enthalten in dem Satz von Gotthelf: „Im Hause muss beginnen, was leuchten soll im Vaterland.“ Pestalozzis Erziehungsidee geht von der Heiligkeit der Wohnstube aus.
Aus diesem Geiste entstand eines der dauerhaftesten Gebilde im europäischen Staatsleben. Nicht ein Staat, sondern eben eine Eidgenossenschaft - das Wort ist in keine andere Sprache übersetzbar. In der Idee der Eidgenossenschaft vereinigt sich das Urälteste - die freiwillige Verbindung freier Bauern zu gemeinsamem Zusammenleben - mit dem Allermodernsten, der Veranlagung zum freien sozialen Experiment mündiger Menschen.
Die Schweiz ist zustande gekommen durch Überwindung von Konflikten, die andere Länder ruiniert haben. Dass Städte und Landrepubliken zusammenfanden, ist in Europa einzigartig.
Dass die Idee der Eidgenossenschaft immer wieder schwersten Belastungen ausgesetzt war, dass sie verkannt, verfälscht, ja verraten, dass sie durch Konflikte verdunkelt wurde, ist Gegenstand jeder Schweizer Geschichte.
In der Zeit seit dem Zweiten Weltkrieg hat sich die Schweiz so entwickelt, dass sie sich immer weniger von den anderen Staaten Europas unterscheidet. Sie weist dieselben Skandale auf, sie produziert dieselben Umweltkatastrophen wie die anderen.
Durch das ungesteuerte Laufen lassen der Entwicklung haben wir uns in so genannte Sachzwänge hineinbegeben, aus denen wir den Ausgang nicht mehr finden. In Wirklichkeit sind jedoch die Sachzwänge Gesinnungszwänge, Denkzwänge.
Die Schweiz bedarf keines zusätzlichen Weges nach Europa. Wenn sie sich selbst treu bleibt, steht sie nach wie vor in der Mitte, auch in der geistigen Mitte Europas. Wir tun mehr für Europa, wenn wir den eigenen Auftrag, wie er in unserer Geschichte enthalten ist, fortbilden, als wenn wir das, was wir erworben haben, wenn es auch noch so unvollkommen ist, um eines Linsengerichtes willen preisgeben. Damit ist nicht gemeint, auf dem sog. „Bewährten“ sitzen bleiben, sondern es zeit gemäss weiterentwickeln, wie es in den guten Zeiten der Eidgenossenschaft immer geschehen ist.
Es ergibt sich ein anderes Lebensgefühl, wenn man als Bürger eines Landes lebt, an dessen Schicksal man sich aktiv beteiligen kann, auch wenn die Abstimmungsresultate regelmässig den eigenen Wünschen entgegenlaufen, als wenn man als Untertan eines Staates lebt, in dem einem von Zeit zu Zeit mitgeteilt wird, welche Beschränkungen der Bevölkerung wieder von einer niemandem verantwortlichen Verwaltung auferlegt worden sind.
Erhältlich im Verlag Prüfen und Handeln, Fr. 28.80, Zusammenfassung, 8 Seiten, Fr. 2.--.